VORWORT
Wer die Entwicklung der künstlerischen Arbeit Marc van den Broeks in den letzten Jahren verfolgt hat, wird die Verdichtung der Gesamtform und gleichzeitig die heiterer werdende Erscheinungsform nicht übersehen können. Die daraus resultierende Spannung mag der eigentliche Gewinn seines Erfindens und Gestaltens in der letzten Zeit sein: Mit größeren Aufgaben - Objekte am Bau- ist auch die Überschaubarkeit der Form gewachsen; die technisch/physikalische Konstruktion gewann an ästhetischer Präzision und Nachvollziehbarkeit. Die monumentale Lösung überzeugt auch hier, wie das in der Entwicklung vieler Plastiker abzulesen ist, durch ihre Reduktion. Marc van den Broeks Atelier gleicht mehr einer Mechaniker- und Experimentierwerkstatt als einem romantischen Künstlerrefugium: Dort finden sich alte Operationslampen, Blechscheren und Schweißgeräte ebenso wie abenteuerliche, weil ausrangierte Motoren, Pumpen und alte Kinostühle.
Es könnte eine Bühnendekoration sein, gäbe nicht die vorgefundene Architektur eines Lichtspielhauses diese Inszenierung vor. So bilden die Gerätschaften den Raum für Stimulans, ästhetische Wirklichkeit, Museum und innovationsträchtige Kulisse. Vor 500 Jahren mögen die Ateliers so manchen Künstlers ähnliche Verblüffung bei den Zeitgenossen hervorgerufen haben - man denke nur an die vielfältigen Unternehmungen Leonardos: War dieser mehr Ingenieur, Anatom oder Maler? Freilich: Sein Ziel erkannte er in der aus der Analyse der Welt gewonnenen Konstruktion, die in ihrer Schönheit die geistige Synthese des Menschen Leonardo widerspiegelte. Und schön sind seine Apparate, Werkzeichnungen und Modelle deshalb, weil sie eine Freiheit repräsentieren, die ganz auf die Ausweitung der menschlichen Fähigkeiten ausgerichtet war, die Eroberung des Erdkreises zu beschleunigen. Ein Anfang, dessen Weiterungen im 20. Jahrhundert nicht mehr nur positive Aspekte beinhaltet; längst wird der wissenschaftliche Fortschritt nicht nur als Befreiung erkannt. Der Aufbruch Leonardos erscheint heute in einem anderen Licht. Dazwischen - über Jahrhunderte der Entwicklung- schiebt sich das Auseinandertriften der Disziplinen. Was Leonardo in einer Person zusammenhalten konnte, ist später in viele kleine Weltsichten zerlegt worden, in die Mechanik, in die Elektronik, in die Anatomie. Schiller, für den sich die Schönheit in der Freiheit des Menschen erfüllt, kam schließIich zur Einsicht, daß die Freiheit nur dort vollkommen sei, wo sie nicht einem Zwecke unterworfen sei: im Spiel. Damit ist der teilweise optimistische Anfang Leonardos überwunden, der letztlich nicht zur Freiheit des Menschen vor sich selbst geführt hat. Diese Situation bildet den geistig/kulturellen Hintergrund für Künstler, deren Werk nicht im unmittelbaren Zwang eines Utilitarismus entsteht (wie das der Techniker und Wissenschaftler).
Der Betrachter sollte ihnen ohne den Wunsch nach Interpretationen begegnen, damit ästhetische Erfahrung unter Bedingungen des Spiels zur Freiheit führt.
Was liegt für einen Künstler, dem das Ingeniöse ebenso zuhanden ist wie der nicht auf Verwertung schielende Gestaltungswille, näher als die Verknüpfung beider Fäden im produktiven Spiel? Elektronik und Mechanik "funktionieren" in den Objekten Marc van den Broeks wie selbstverständlich - und doch "produzieren" sie nichts weiter als ästhetisches Spiel. Die ästhetische Gestalt seiner Objekte verliert sich nicht im bloßen Formalismus, sondern verbindet sich - oft durch die Mechanik in Bewegung gehalten - zu einer einsehbaren Dynamik: Im mechanischen Verlauf verschmelzen Technik und Gestalt, wird Zweck mit Zwecklosigkeit zur Einheit - und spielerisch schön und schön spielerisch; sie sind frei. Seine Objekte versöhnen die Technik mit der Aisthesis: durch Kraft erzeugte Bewegung, plastische Form, farbige Flächen, phantasievolle Thematik und geistvoller Hintersinn; Gebrauchszweck wird obsolet; die technische Schönheit verweigert sich dem Design, wie auch dem Marketing. Seine Objekte stehen aber auch nicht als erzählende oder schmückende Ergänzungen in ihrer Umgebung. Sie fügen sich dort auf eine bewegliche Weise in den Ort ein und beflügeln die Phantasie des Betrachters dann, wenn sein Erstaunen über den technisch/physikalischen Aspekt hinausreicht: Ist die Physik durchschaut, heftet sich der Blick auf die Form; bevor diese ihren schönen Schein ausspielen kann, wird sie in die Funktion des beweglichen oder bewegten Objektes eingebunden. Die Bewegung pflanzt sich so fort, erfasst das ganze Ambiente, bis sie auch durch den Betrachter geht. Wie wenige Künstler, thematisiert Marc van den Broek Probleme der Physik. Mit Vorliebe zeigt er daraus Phänomene, die mehr in ihrer Wirkung als in ihrem Sein erfahrbar sind: Strom, Lichtenergie, Kraftgesetze . . .
Aber er belehrt nicht durch arrangiertes Experiment, sondern bindet die Abstrakta an eine aisthetische Form; die Zweckhaftigkeit ihrer Funktion, wie sie dem Betrachter aus dem Alltag geläufig ist, wird dabei paraphrasiert - mit durchaus technischen Mitteln. Nicht von ungefähr öffnet Marc van den Broek die Horizonte seiner Phantasie: Eher Dädalus als dessen Sohn, jedenfalls zuviel Ingenieur, als daß er sich in den Spiegelungen seiner Kunsthimmel verlöre. In den Cumuli seiner Ideen gleicht er dann doch mehr dem Ikarus. Zwischen diesen - seinen - Polen gerinnt die Balance zu einem Objekt, das sich dem Betrachter öffnet.
Prof. Dr. Otfried Schütz